Ein bisschen grau ist er schon, der Wilhelmsplatz in Hagen-Wehringhausen. Was früher ein Parkplatz war, ist heute frisch gepflastert und dient den Kindern des Viertels als Spielplatz. Ringsum bunt gestrichene Altbaufassaden, auf der einen Ecke eine Pinte, auf der anderen ein Kiosk. Doch nicht überall erscheint der Stadtteil so ruhig. Eine Recherche zu Hagen-Wehringhausen ergibt fast ausschließlich Polizeiberichte: Diebstähle, Gewalttaten, Verkehrsunfälle.
Das Negativimage hat sich eingefressen. Man könne gar nicht mehr laut sagen, dass man gern in Wehringhausen lebe, sagt Jan Eckhoff. Er ist hier aufgewachsen. Den gleichen Eindruck hat auch Tabea Dölker, die als Grafikdesignerin erst vor ein paar Jahren nach Hagen gezogen ist. Die beiden beschäftigen sich schon länger mit ihrem Stadtteil und versuchen Wehringhausen mit ihren Projekten „089 Wehringhausen“ und „Hagen hat was“ zu einem neuen Selbstverständnis zu verhelfen.
Die niedrige Wahlbeteiligung zeigt, wie groß die Herausforderung ist. Sie lag im Mai bei der Landtagswahl auf einem neuen Tiefpunkt. Stadtweit lag sie gerade einmal bei 45,3 Prozent. Die landesweiten 55,5 Prozent wurden in einigen Hagener Stimmbezirken schon seit Jahren nicht mehr erreicht. Im benachbarten Stimmbezirk Södingstraße lag die Wahlbeteiligung bei keiner Wahl der vergangenen zehn Jahre über 38 Prozent. Da in Wehringhausen viele Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben, ist ein großer Teil der Menschen vor Ort gar nicht wahlberechtigt. Da müsse man sich schon fragen, wie repräsentativ die gewählten Gremien noch seien, erklärt Jan Eckhoff, der als freier Journalist arbeitet.
Mehr öffentliches Leben schaffen
Für Tabea Dölker ist vor allem Kommunikation der Schlüssel zur Erklärung der Wahlbeteiligung. Zum einen scheitere die Politik daran, die Menschen vor Ort zu erreichen, Abhilfe könne ihrer Meinung nach zum Beispiel eine einfachere Sprache leisten. Bei Begriffen wie „Mietpreisbremse“ würde schon zu viel Vorwissen vorausgesetzt, um die Menschen an den Diskussionen zu beteiligen. Damit politische Diskussionen aber überhaupt erst in Gang kämen, bräuchte man mehr Räume. Aktuell habe sich die Kommunikation in einzelne abgeschlossene Runden und „Bubbles“ verlegt. Inhaltlichen Austausch zwischen verschiedenen Gemeinschaften gebe es kaum noch. „Ich habe das Gefühl, heute wird sich nur noch empört“, sagt Tabea Dölker. Dauerempörung erzeugt Ermüdung. Jan Eckhoff erinnert sich noch an Zeiten, in den der ganze Stadtteil auf dem Wochenmarkt oder am Spielfeldrand des Fußballplatzes zusammenkam. Heute existieren solch Angebote immer weniger.
Vom Abgang der Schwerindustrie
Trotzdem loben die Beiden die Arbeit der Initiativen vor Ort: Gerade für die vielen Kinder am Wilhelmsplatz gebe es Angebote, die ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit gäben. Bei den Erwachsenen ginge dieses Gefühl dann allerdings verloren, beobachtet Eckhoff. Die geringe Präsenz der Politik trage auch nicht unbedingt dazu bei, dass die Menschen sich wahrgenommen fühlten.
Für Jan Eckhoff ist klar: „Wir haben in Städten wie Hagen, Duisburg oder Gelsenkirchen den strukturellen Wandel komplett verpasst.“ Seit dem Weggang der Schwerindustrie habe sich gerade die Arbeitsstruktur in Hagen verändert – statt der Industriearbeiter*innen bräuchten nun die Beschäftigten des Dienstleistungssektors die Aufmerksamkeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die Politik müsse sich hier schneller anpassen, findet auch Tabea Dölker.
Für Ina Blumenthal, die gerade erst neu und per Direktmandat für den Stadtteil in den Landtag gewählt wurde, stellen sich im Wahlkreis also stellvertretend für die SPD im Land große Aufgaben. „Wer mit offenen Augen durch Wehringhausen geht, der sieht, dass Schwierigkeiten und Potential nah beieinander liegen“, sagt die 41-Jährige. Bereits im Wahlkampf lag für sie der Schwerpunkt darin, mit den Menschen in Wehringhausen in Kontakt zu kommen. Diese Gespräche möchte die Sozialdemokratin mit Hausbesuchen und Terminen vor Ort auch in Nicht-Wahlkampfzeiten intensivieren, denn so ihre Überzeugung: „Gute Politik entsteht nur dann, wenn wir miteinander reden.“
Gemeinsam Perspektiven schaffen
Kann das klappen? Es muss und es kann. Denn laut Eckhoff ergibt die Lage im Stadtteil keinen Einzelfall: „Hier werden die Probleme besonders deutlich, die gibt es aber überall anders auch.“ Und Blumenthal findet: „Wehringhausen ist ein lebenswerter Stadtteil.“ Auf dem Wilhelmsplatz sieht man warum: Dort sammeln Halima und die örtliche Kindergruppe Müll auf. Bereits für die Jungen zeigt sich: Wenn sich etwas verändern soll, dann geht das am besten gemeinsam. Und auf einmal ist der Platz gar nicht mehr so grau.