Erste Diskussion zu „Hartz-IV oder was?“

„Hartz-IV muss überwunden werden!“ forderte die SPD Bundesvorsitzende Andreas Nahles unlängst und gab damit einen für viele überfälkigen Anstoß zur Diskussion. Auch die SPD Velbert sieht großen Redebedarf und veranstaltete am 13.12.2018 eine erste Diskussion zum Thema „Hartz-IV oder was?“. In der Sitzung stellten die Diskussionsteilnehmer auch deutlich fest, dass nicht nur der als Hartz-IV bekannte Begriff für das Arbeitslosengeld 2 negativ belegt ist, sondern wie ein Fluch über der SPD zu liegen scheint, und manch einer macht die Einführung von Hartz-IV für den Niedergang der Partei – wenigstens ‚mit-‚ – verantwortlich.

In der Sitzung ging es vor allem um eine zurückblickende Kritik. U.a. wurde die Vorzeit vor Hartz-IV beleuchtet. Unter anderem hatte die Wiedervereinigung keine von Kanzler Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ gebracht, sondern u.a. die Rentenkasse und den Haushalt stark belastet. Die Staatsverschuldung war hoch. Deutschland hatte 1997 fast 3 Millionen Arbeitslose und hinzu kam ein Skandal bei dem damaligen Bundesarbeitsamt um fingierte Vermittlungen. Die Politik sah sich gezwungen, zu handeln, wobei die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder die Hartz-Kommission einrichtete, die offiziell „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ hieß.

Das Hartz-Konzept

Das Hartz-Konzept (auf Wikipedia.de) hatte mehrere Phasen. U.a. sah die erste Phase vor, andere Formen von Beschäftigungen zu ermöglichen, aber auch Arbeitslose zu qualifizieren, wobei die Arbeitsämter Bildungsgutscheine mit verbundener Finanzierung herausgeben durften. Die sogenannten Personal-Service-Agenturen (PSA) sollten im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassungen (gleich Zeitarbeit/Leiharbeit) übernommene Arbeitslose als Zeitarbeiter in Firmen einsetzen bzw. in freien Zeiten fortbilden. Zugleich wurde die Reglementierungen für die Zeitarbeitsfirmen deutlich gelockert. Dies geschah mit der Absicht, viele Arbeitslose über Zeitarbeit in Arbeit zu bringen, allerdings verbunden mit der Hoffnung auf Übernahme in den entleihenden Betrieb. Dadurch sollten viele Arbeitslose über eine vorübergehende Leiharbeit in Festanstellungen gelangen.

Mit der zweiten Stufe sah das Hartz-Konzept u.a. die Einführung der Ich-AGs und die Jobcenter vor. Die Kleinselbständigkeiten sollte den Bürgern einen Anreiz und eine Chance zur Selbstverwirklichung geben und dadurch viele neue Jobs und Firmen entstehen lassen. Vor Einführung der Jobcenter bekamen die Arbeitslosen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten, Arbeitslosenhilfe vom Sozialamt, welches sich nicht wirklich um die Arbeitsvermittlung kümmerte. In der dritten Stufe wurde aus den Arbeitsämtern ‚Arbeitsagenturen‚ und in der vierten wurde das Arbeitslosengeld-2 eingeführt, welches als Hartz-IV bekannt wurde. Hierbei wurde deutlich unter dem Begriff „Fördern und Fordern“ verlangt, dass „jede zumutbare Stelle“ anzunehmen sei. Für Regelmissachtungen, wie z.B. unentschuldigte Terminversäumnisse oder unzureichende Mitwirkung, wurden Sanktionen in Form von Leistungskürzungen eingeführt.

Sehr schnell wurde Hartz-IV mit Begriffen wie Sanktion, Bestrafung, moderner Sklaverei und Armut negativ in Verbindung gebracht. Tatsächlich waren die Regelleistungen sehr gering und sahen wenig Anteil auf kulturelle Teilhabe vor. Die „1-Euro-Jobs“ wurden in der Bevölkerung oder von den Betroffenen nicht als Aktivierung, sondern als Bestrafung verstanden, als müsse jemand für einen Euro pro Stunde arbeiten, wo er diesen Euro pro Stunde Arbeit real mehr bekam. Auch das sogenannte Schonvermögen, angesparte Gelder oder Eigentum, welches vor Leistungsbezug aufzubrauchen war, wurde als zu gering angesehen und führt bis heute zu großen Ängsten eines sozialen Abstiegs und Altersarmut. Regelleistungen und Schonvermögen wurde inzwischen deutlich angehoben.

Folgen

Manche eingeführte Erneuerung oder spätere Korrektur ist sicher positiv zu betrachten. U.a. sind die Bildungsgutscheine eine Verbesserung, um Arbeitslose zu qualifizieren. Manche Idee hat sich in Luft aufgelöst, wie zum Beispiel die Ich-AGs, die zum Teil zu Scheinselbständigkeiten führten oder kaum tragfähig waren. Regelsätze und Schonvermögen wurden sicher zu recht angehoben und man mag streiten, ob es nicht immer noch zu wenig ist, aber auch der Abstand zu regulären Löhnen ist häufig zu gering. Es lohnt für viele Hartz-IV-Bezieher nicht, gerade, wenn sie eine Familie ernähren sollen, für geringe Löhne arbeiten zu gehen. Gerade im Bereich der Zeitarbeit – unterstützt durch Betrügereien (von Arbeitgeberseite heimlich gegründete Pseudo-Gewerkschaften, die erst 2010 durch das Bundesarbeitsgericht verboten wurden) – kam es zu Billiglöhnen. Normalerweise sind Tarifverträge positiv, sie bringen den Beschäftigten mehr Geld. In der Zeitarbeit führten die durch das Hartz-Konzept erlaubten und dann eingeführten Tarife zur Umgehung des „Equal-Pay-Grundsatzes“ (gleiches Geld für gleiche Arbeit). Und die Jobcenter drängten – zum Teil gut qualifizierte – Arbeitslose über die Zumutbarkeitsregel in die Zeitarbeit. In der Folge wurde die Zeitarbeitsbranche – mit heute über einer Million Beschäftigten – ein scheinbares Job-Erfolgsmodell. Keiner weiß allerdings, wie viele Zeitarbeiter direkt bei den Firmen angestellt worden wären, wäre die Gesetzgebung nicht gelockert worden. Viele Großunternehmen besetzten ganze Abteilungen mit Zeitarbeitern, wobei Schlecker sogar eigene Mitarbeiter entließ, um sie billiger über Zeitarbeit wieder einzustellen (etwas was gesetzlich heute so nicht mehr möglich ist). Die Bereitschaft, Zeitarbeiter zu übernehmen, ist nach wie vor sehr gering. An vielen Langzeitarbeitslosen ging die Hartz-Entwicklung vorüber, ohne, dass sie eine Beschäftigung fanden. Aus den „Generationen Sozialhilfe“, die man vermeiden wollte, wurde die „Generation Hartz-IV-Empfänger“.

Fazit

Die Teilnehmer der ersten Hartz-IV-Diskussionsrunde kamen nicht zum Ergebnis, dass die Hartz-Konzepte ein Erfolg geworden seien. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen zwar, dass die Wirtschaft zum Teil zu billigen Arbeitskräften kam, aber umgekehrt vielen Menschen nach prekären Beschäftigungen auch noch Altersarmut droht. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands geht wenig auf das Hartz-Konzept zurück. Vermutlich, so die Diskussionsteilnehmer, muss nicht nur Hartz-IV, sondern das ganze Hartz-Konzept überwunden werden. U.a. muss die Zeitarbeit reformiert werden. Allerdings muss man auch über die Zukunft von Hartz-IV nachdenken. Vielleicht müssen Stellschrauben angepasst oder ein ganz neues Konzept erarbeitet werden und vielleicht müssen auch andere Bereiche – wie z.B. die Höhe des Mindestlohnes – angegangen werden. Man kann sich der Zukunft von Hartz-IV auch aus einem anderen Blickwinkel zuwenden: Wenn im Rahmen der Digitalisierung immer mehr Jobs wegfallen sollten, weil diese durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden, so stellt sich die Frage, wovon die Arbeitslosen leben sollen und wie solch ein System finanziert werden kann, wenn es kaum noch Erwerbstätige und Beitragszahler geben sollte? Modelle wie ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ oder „Bürgergeld“ müssen diskutiert werden. Denn, wenn es auch Ideenansätze gibt, so hat die SPD – als Bundespartei – bislang keine Antwort. Um hier einen Konsens in der Gesamtpartei zu finden, muss weiter diskutiert werden, was wir auch in Velbert machen werden. [Autor: Lutz Langer]


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