Jamaika gescheitert – Was nun?

Von Kevin Rahn

 

Teil 2 unserer Serie zu Argumenten und Meinungen über die aktuelle Lage der Berliner Repblik.

Das Für und Wieder dieser Beiträge soll zur Meinungsbildung beitragen und einen Anreiz zur Diskussion bieten. Denn noch sind alle Möglichkeiten offen.

Gestern hat Volker Münchow, Vorsitzender der SPD-Velbert, eine mögliche Argumentation „pro GroKo“ veröffentlicht. Nun folgt ein Essay für eine Minderheitsregierung durch den Parteisekretär Kevin Rahn.

 

Was nun?

Die Sondierungsverhandlungen sind krachend gescheitert. Und während sich die beteiligten Politiker der CDU/CSU, FDP und Grünen jeweils den schwarzen Peter zuschmeißen und von Inszenierung schwafeln bahnt sich böses an.

Das Wort „Neuwahl“ liegt in der Luft, nur ab und zu übertönt von dem Wort „Große Koalition“. An Pest und Cholera erinnert läuft es uns Sozialdemokraten eigentlich eiskalt den Rücken runter.

Die verzweifelt implodierenden Jamaika-Parteien greifen nach den letzten Strohhalmen um von ihrem gemeinschaftlichen Versagen abzulenken. Nun ist es, laut ihnen, die Aufgabe der SPD Staatsverantwortung zu übernehmen. Das gleiche Spiel, der gleiche Vorwurf dem wir seit unserer Gründung immer wieder begegnen. Wir zieren uns um Verantwortung, wir verraten eine Nation. Diese abgeschwächte Variante der Dolchstoßlegende wird wieder einmal schamlos benutzt, um uns in Verruf zu bringen. Denn wir sollen uns Beugen oder sind Verräter, Duckmäuser.

Doch das geht durch beide Ohren durch. Wir sind die stolzeste aller Parteien. Wir sind zum Kampf geboren, wir haben uns bisher in jedem Kampf bewiesen. Wir haben mehr Kröten geschluckt, angeblich zum Wohle des Volkes, als dies andere jemals tun könnten. Wir haben in unseren 150 Jahren mehr geleistet, auch und insbesondere für den Staat, als andere je erreichen können. Bebel, Ebert, Wels, Schumacher, Brandt, Wehner, Schmidt…..alle sind unsere Zeugen.

Die gleichen Leute, die uns das immer wieder vorwerfen, beziehen dies nie auf sich selbst.

Wir haben jetzt eine Große Koalition hinter uns. Politisch haben wir auch tatsächlich einiges erreicht. Doch letztlich sind wir dafür abgestraft worden. Ob zurecht oder nicht, muss sich jeder Genosse selber überlegen, wir haben schließlich darüber abstimmen können.

Zum Glück hat der Parteivorstand gelernt. Unser Nein zur GroKo steht fest wie ein Fels in der Brandung. Auch und gerade weil die Wellen gerade besonders stark an unserem Nein zu rütteln versuchen, müssen wir geschlossen bleiben. 150 Jahre Sturmerprobt. Weiter so.

Allerdings gibt es noch das zweite Gespenst, auch genährt durch unsere Parteioberen.

Neuwahlen stehen im Raum, frühestens in 8 Wochen. Der letzte Strohhalm der Funktionäre, sich nicht ändern zu müssen. Der Griff eines Parteiensystems vor der Wende.

Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft eben sehr unterschiedlich ist. Es gibt keine klaren Fronten mehr zwischen CDU und SPD. Kein entweder oder. Die Wahl spiegelt wieder, was in der Gesellschaft längst Realität ist:

Die Menschen sind individueller geworden. Bindungen an Vereine, an Parteien und auch an Überzeugungen sind stark geschwächt. Das merkt jeder Fußballverein, wenn ein neuer Vorstand gewählt werden soll. Das merken auch wir, wenn es um politische Ämter geht. Wir sehen das auch in den Zahlen der Eheschließungen, der Alleinstehenden. Überall. Die Gesellschaft verliert massiv an Bindekraft.

An diesem Sachverhalt ändert keine Neuwahl etwas.

Unser Parlament stellt ziemlich gut da, in welcher Verfassung unsere Gesellschaft ist. Das wird sich nicht großartig ändern. Und selbst wenn bei einer Neuwahl eine Partei eine einfachere Koalition bilden kann, stellen die sich über die Realität.

Also was nun?

Eine Minderheitsregierung wäre genau das, was das Volk in Summe gewählt hat. Steinmeier sollte Merkel als Kanzlerin vorschlagen und diese nach Möglichkeit gewählt werden. Danach muss dann jede Partei für sich gucken, wie Sie möglichst viel umsetzten kann. Jedem Abgeordneten kommt viel Verantwortung zu. Aber damit bekommt auch jeder direkte Vertreter eine enorme Chance. Aber auch jede Partei hat große Chancen Inhalte zu setzten.

Freilich muss sich dieses System erstmal einspielen. Alle Akteure müssen lernen wie man damit umgeht. Auch der Bürger muss die neue Situation erfassen und insbesondere die Medien hätten mal allen Grund ihren politischen Ressorts etwas mehr politisches Grundwissen anzuhäufen.

Die Führungsebenen können noch so häufig von „dem Wählerwillen“ oder „dem Souverän“ schwadronieren. Den gibt es nicht, es gibt nur 60 Millionen Wähler. Doch unsere Gesellschaft ist nun mal bereits im Zerfallsprozess. Das lässt sich nicht durch realitätsfremde „Koalitionen“ und Neuwahlspektakel beheben.

Wenn wir diesen Prozess aufhalten wollen und das ist für uns genauso wichtig wie der Klimawandel, müssen wir als Politik dagegen steuern. Wir müssen Strukturen schaffen, in denen Menschen wieder zusammen kommen.

Nicht Tinder braucht das Land, sondern Schulen mit Sportstätten. Lehrpläne mit viel Zeit für die Selbstentfaltung und Angebote dazu. Wir brauchen Innenstädte und Begegnungsstätten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Gesellschaftlichen Gruppen wieder mischen, in Kontakt kommen.

Die Schule ist ein Anfang, doch es muss weiter gedacht werden. Lasst uns darüber reden. Lasst uns über Wehrpflicht, mehr Selbstverwaltung und Demokratie diskutieren. Auch im europäischen Rahmen, aber lasst uns beginnen.

Erst mit dieser Basis können wir, als Gesellschaft und auch als Partei, überhaupt erst vernünftig und nachhaltig die Probleme angehen. Ob Steuern, Bildung oder andere Politikfelder. Ohne einen Gemeinschaftssinn, ohne Gesellschaft werden wir alle verlieren. Und das ist es auch, wo wir als Sozialdemokraten immer stark waren.

Wir brauchen kein koalitionäres verwalten. Wir brauchen Akteure die selbstbewusst handeln, die die Gesellschaft formen wollen. Das können wir in einer Minderheitsregierung durchaus leisten, denn unsere Abgeordneten sind erfahren und Fähig.

Wir brauchen uns nicht verstecken. Sozialdemokraten: Augen geradeaus und geeint Richtung Zukunft.

 

 

 

                    So flieg du flammende, du rote Fahne, voran den Wege den wir ziehn!