Der zwölfjährige Ali Ismail Abbas schlief tief, als der Krieg sein Leben zerstörte.
Eine Raketeneinschlag machte das Haus seiner Familie dem Erdboden gleich und tötete die meisten seiner Angehörigen. Er selbst blieb als Waise mit schweren Verbrennungen zurück. Seine beiden Arme wurden durch die Wucht der Explosion abgerissen.
"Es war Mitternacht, als die Rakete auf uns fiel", sagte der unter Schock stehende Junge am Sonntag der Reuters- Korrespondentin Samia Nakhoul im Bagdader Kindi-Krankenhaus. "Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder starben. Meine Mutter war im fünften Monat schwanger. Unsere Nachbarn haben mich geborgen und hierher gebracht."
Zum Verlust seiner Eltern kommt hinzu, dass Ali sein Leben lang behindert sein wird. Über seine unsichere Zukunft nachdenkend fragte er ängstlich: "Kannst du mir helfen, meine Arme wieder zu bekommen? Meinst du, die Ärzte können mir ein anderes Paar Hände geben?" Während ANZEIGE
Tränen über seine Wangen liefen, fügte er verzweifelt hinzu: "Wenn ich kein Paar Hände bekomme, bringe ich mich um." Seine Tante, drei Cousins und drei weitere Verwandte wurden ebenfalls bei dem Luftangriff in der Vorwoche in dem Bezirk Diala Bridge östlich von Bagdad getötet.
"Wir wollten keinen Krieg. Ich hatte Angst vor dem Krieg", sagte Ali. "Unser Haus war nur eine kleine Hütte, warum wollten sie uns bombardieren?", fragte er mit Blick auf die seit zweieinhalb Wochen anhaltenden Luftangriffe der US-geführten Streitkräfte. Was er allerdings nicht wusste: Die Gegend, in der er lebte, war umgeben von Einrichtungen des irakischen Militärs.
Um seine verbrannte Haut vor schmerzhaften Berührungen mit der Bettwäsche zu schützen, hat Ali eine Holzprovisorium vor der Brust. "Als ich klein war, wollte ich Armee-Offizier werden, aber nun nicht mehr", sagte der Junge. "Nun will ich Arzt werden, aber wie so ich das schaffen? Ich habe keine Hände."
Alis Tante Dschamila Abbas kümmert sich um den Jungen. Sie füttert und wäscht ihn, betet für ihn und sagt ihm immer wieder, dass seine Eltern nun im Himmel seien.
ALIS WUNDEN NUR MOMENTAUFNAHME DES TÄGLICHEN SCHRECKENS
Alis Verletzungen sind nur ein Beispiel des täglichen Schreckens, dem irakische Zivilisten in dem Krieg ausgesetzt sind, den die USA und ihre Verbündeten führen, um nach eigenen Angaben Iraks Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und den Sturz von Präsident Saddam Hussein durchzusetzen. Seit die Invasionstruppen ihre Bodenangriffe auf Bagdad am Donnerstag begonnen haben und dabei ihre Luftangriffe verstärkt haben ist die Zahl der Verletzten erheblich gestiegen. Krankenwagen auf Krankenwagen bringen Opfer aus allen Stadtteilen in die Kindi-Klinik. Viele Verletzte werden auf Bettlaken eingeliefert, weil es keine Tragen mehr gibt. Das Krankenhauspersonal findet keine Zeit, die Transportliegen vom Blut der Verletzten zu säubern. Über die ganze Abteilung verstreut schreien Patienten auf, Angehörige weinen.
Da viele Mitarbeiter während der Bombenangriffe nicht in die Klinik kommen können, arbeiten die Ärzte rund um die Uhr. Doktor Osama Saleh el Duleimi sagte, das Krankenhaus sei überfüllt. Es gebe kaum noch Betäubungs- und Schmerzmittel. Bislang hätten die Krankenhäuser genügend Ausrüstung und Medikamente, doch nun würden sie von der großen Zahl der Verletzten übermannt, sagte ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes. "Während des heftigen Bombardements kommen stündlich bis zu 100 Opfer je Stunde in die Krankenhäuser." Die USA versuchen nach eigenen Angaben zivile Opfer so gering wie möglich zu halten. Unabhängige Zahlen über zivile Opfer liegen nicht vor, doch sprechen Mediziner von hunderten Toten und tausenden Verletzten.
Ärzte, die in den beiden Golf-Kriegen zuvor bereits Opfer behandelt hätten, sagten, sie seien fassungslos über die Verletzungen, die sie gesehen hätten. Die meisten Opfer seien schwer traumatisiert und hätten erhebliche Verletzungen, oft am Kopf und am Unterleib. "Ich bin seit 25 Jahren Arzt und dies ist das Schlimmste, was ich im Hinblick auf die Zahl der Opfer und die fatalen Wunden gesehen habe", sagte El Duleimi.